Fahrermangel in Deutschland und der EU: Ursachen, Prognosen und Lösungen
„Uns fehlen nicht die Fahrer – uns fehlen die passenden.“
Verantwortliche in Transportunternehmen, Personalabteilungen und Fuhrparksleitungen berichten teilweise, dass die Herausforderung nicht in der Anzahl der Bewerber liegt, sondern darin, ob Fahrer für die jeweiligen Einsätze geeignet und verfügbar sind. Nach Eindrücken von EuroDrivers.de aus Gesprächen mit Berufskraftfahrern und Unternehmen zeigt sich: Der Fahrermangel ist vielschichtig. Er entsteht durch regionale und lokale Engpässe, die fehlende Übereinstimmung zwischen Fahrerqualifikation, Erfahrung und den Anforderungen der Touren sowie durch pragmatische Entscheidungen von Unternehmen und Fahrern.
Nahverkehr: Passende Fahrer für regionale Einsätze
Im Nahverkehr (Lkw bis 12–40 t Gesamtgewicht) gibt es Bewerber, doch nicht jeder Fahrer erfüllt die Anforderungen der jeweiligen Einsätze. Viele Berufskraftfahrer legen Wert auf ein planbares Tagesgeschäft, aber die Realität sieht oft anders aus:
- Feste Startzeiten: Meist gegeben, doch Pufferzeiten und Verzögerungen durch Verkehr oder Ladestellen erfordern Flexibilität.
- Hohe Arbeitsbelastung auf der Strecke: Fahrer müssen häufig mehrere Abladestellen bedienen, unterwegs neue Ladungen aufnehmen und Fahrzeuge selbstständig beladen oder kontrollieren.
- Physische und mentale Anforderungen: Zeitdruck, enge Tourenplanung und wechselnde Aufgaben machen den Nahverkehr anspruchsvoll.
Die Herausforderung liegt weniger in der Anzahl der Bewerbungen, sondern darin, dass Qualifikation, Erfahrung und persönliche Belastbarkeit zu den Anforderungen passen. Nur dann entstehen langfristig stabile Einsätze.
Fernverkehr und Spezialtransporte
Im Fernverkehr und bei Spezialtransporten für 40-t-Lkw spielen zusätzliche Faktoren eine Rolle:
- lange Touren und internationale Einsätze
- Fahrzeugpflege und Ladungssicherung
- Zeitdruck, Belastbarkeit und physische Anforderungen
- besondere Qualifikationen für Tankzüge, Silotransporte, Kühl- und Lebensmittelverteilung, Automotive-Shuttle, Schwerlast- oder Baustofftransporte
Hier entstehen Engpässe vor allem durch fehlende Erfahrung und Qualifikation – nicht durch absolute Bewerberzahlen.
Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Staaten
Engpässe bestehen in allen EU-Staaten, unabhängig von Förderprogrammen oder Lohnniveau.
- Regionale Transportanforderungen: Sprachkenntnisse, Dokumentation und länderspezifische Vorschriften betreffen vor allem nationale, lokale und regionale Transporte.
- Grenzüberschreitende Transporte: Zusätzliche Anforderungen durch Vorschriften anderer EU-Staaten.
Ursachen des Fahrermangels
- Quantitative Faktoren: regionale Unterschiede bei Bewerberzahlen
- Qualitative Faktoren: Übereinstimmung zwischen Fahrerqualifikation, Erfahrung und Anforderungen der Touren
- Strukturelle Faktoren: Lohnniveau, Arbeitsbedingungen, Image, Wertschätzung, Nachwuchsgewinnung
- Pragmatismus der Unternehmen: Preisdruck, kurze Planungshorizonte
- Fahrerpräferenzen: Tourenmodell, Wohnortnähe, Fahrzeugqualität – viele Fahrer wählen bewusst Einsätze, die zu ihrem Lebensstil und zu ihren Gehaltsvorstellungen passen. Dies beeinflusst direkt, welche Stellen leichter oder schwerer zu besetzen sind.
- Zusatzaufwand: Führerscheinkosten, Code 95, Schulungen, Prüfungen, digitale Fahrerkarte
Prognosen & Zukunftsaussichten
Langfristige Studien zeigen:
- Das Straßengütervolumen in der EU steigt bis 2035 voraussichtlich weiter an.
- Mehr Güter bedeuten mehr Touren und höheren Bedarf an Berufskraftfahrern.
- Der demografische Wandel verstärkt Engpässe zusätzlich.
- Selbst wenn klassische Maßnahmen wie Lohnerhöhungen oder Imagekampagnen umgesetzt werden, bleibt die Nachfrage nach passenden Fahrern hoch.
Drittstaaten-Fahrer: EU-Intra-Perspektive
Drittstaaten-Fahrer tragen aktuell 2025 zur Entlastung bei, insbesondere im internationalen EU-Fernverkehr. Entscheidend sind jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich in den 27 EU-Mitgliedstaaten unterscheiden:
- Erster Aufenthalt (Arbeitsgenehmigung erteilt) in einem EU-Staat: Unterschiedliche nationale Vorgaben zum Pflicht-Umtausch von Drittstaaten-Führerscheinen nach sechs Monaten – je nach Land mit oder ohne erneute theoretische und praktische B-/CE-Fahrprüfungen.
- Befristete Ausnahmen für digitale Fahrtenschreiberkarte: In einigen Mitgliedstaaten gelten Ausnahmen gemäß Artikel 26 Abs. 4 der EU-Verordnung 165/2014. Diese ermöglichen es, einen Drittstaaten-Führerschein für bis zu 185 Tage zusammen mit einer entsprechend befristeten digitalen Fahrerkarte für den Fahrtenschreiber (Digitaler Tachograph) zu nutzen. Vorteil: Fahrer können nach etwa sieben Wochen bereits im nationalen oder internationalen Güterkraftverkehr eingesetzt werden.
- Gültigkeit eines EU-Führerscheins bei grenzüberschreitendem Wohnsitzwechsel innerhalb der EU: Richtlinie 2006/126/EG Art. 11 Nr. 6 erlaubt jedem EU-Staat, über Anerkennung oder erneute Prüfungen zu entscheiden. In Deutschland umgesetzt z. B. in FeV §28 Abs. 4 Nummer 7.
- Code 95: vierwöchige Grundqualifikation, Abschlussprüfung oft in Landessprache, Dolmetscher nur in bestimmten Staaten erlaubt.
- Kosten: Code-95 zwischen 1.200 € und 3.300 € je nach EU-Staat, BCE Führerscheinumschreibung zwischen 1.000 € und 3.000 €.
Hinweis: Dies ist keine Rechtsberatung, sondern reine Recherche. Prüfen Sie die einschlägigen EU-Richtlinien zum Führerschein, zur digitalen Fahrtenschreiberkarte (Digitaler Tachograph) sowie die jeweiligen nationalen Führerscheinregelungen in Ihrem Wohn- und Firmenstaat eigenständig oder mit rechtlicher Beratung Ihrer Wahl.
Fazit
Der Fahrermangel in Deutschland und der EU lässt sich nicht allein durch die absolute Zahl verfügbarer Berufskraftfahrer erklären. Auch wenn die Gesamtstatistik eine Differenz zwischen benötigten und vorhandenen Fahrern aufzeigt, entstehen insbesondere lokale und regionale Engpässe, verstärkt durch fehlende Erfahrung, nicht passende Qualifikationen, strukturelle Rahmenbedingungen und gesetzliche Vorgaben. Für langfristig stabile Lösungen im Nahverkehr, Fernverkehr sowie für Einsätze mit Code 95 und digitaler Fahrerkarte sind sowohl eine ausreichende Zahl qualifizierter Fahrer als auch gezielte Auswahl, qualifizierte Vermittlung und passgenaue Zuordnung erforderlich – egal, ob die Fahrer aus der EU stammen oder Drittstaaten-Fahrer sind.
Deutschland: Abbau von Bürokratie bei der beschleunigten Grundqualifikation und den EU-/nationalen Führerscheinregelungen
Die beschleunigte Grundqualifikation für Berufskraftfahrer – einschließlich Fragen zur Lehr- und Prüfungssprache – wird im Rahmen fachlicher und interministerieller Abstimmungen weiterentwickelt. Dabei fließen insbesondere der wirtschaftliche Bedarf, die Sicherung der Ausbildungsqualität sowie die Anforderungen einer gesteuerten Einwanderungspolitik im Kontext des Arbeitsmarkts ein. Ziel ist eine praxisnahe und effiziente Qualifikation von Fahrpersonal, ohne die etablierten Standards oder die Verkehrssicherheit zu beeinträchtigen.
Drittstaatenangehörige: Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen
Für Lkw-Fahrer aus Drittstaaten erfolgt bei der erstmaligen Einreise und Beschäftigungsaufnahme die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung bzw. einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung, die ausschließlich für den betreffenden Mitgliedstaat gilt. Ein späterer Wohnsitzwechsel in einen anderen EU-Mitgliedstaat führt dort erneut zu einem Genehmigungsverfahren, da Arbeits- und Aufenthaltsrechte nicht automatisch übertragbar sind.
Führerscheinrecht: EU-Vorgaben und nationale Regelungen
Neben den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen sind sowohl das EU-Führerscheinrecht als auch das nationale Führerscheinrecht des jeweiligen Mitgliedstaates relevant. Dies betrifft insbesondere:
- die Anerkennung von Drittstaaten-Führerscheinen,
- die Anerkennung von EU-Tauschführerscheinen, die Drittstaatenangehörige bei der erstmaligen Umschreibung in einem Mitgliedstaat ohne zusätzliche Prüfungen erhalten haben,
- die Anforderungen an Umschreibungen und Prüfungen bei einem späteren Umzug in einen anderen Mitgliedstaat.
Fachpolitische Zielsetzung
Die fachpolitischen Abwägungen verfolgen das Ziel, eine Balance herzustellen zwischen:
- einer beschleunigten Qualifizierung von Berufskraftfahrern zur Entlastung des Arbeitsmarktes,
- der Wahrung hoher Ausbildungs- und Sicherheitsstandards,
- fairen Wettbewerbsbedingungen in der EU,
- und einer rechtlich klaren, nachvollziehbaren Ausgestaltung der Führerschein- und Anerkennungsregelungen.
Hierdurch soll der Fahrermangel gezielt reduziert werden, ohne die Integrität des Systems oder die Verkehrssicherheit zu beeinträchtigen.